Impulse eines Baumes – Gedanken zum 12. Sonntag im Jahreskreis

Ein Baum, der mich beeindruckt

Vor acht Jahren habe ich bei einer Bergwanderung ganz zufällig diesen Baum entdeckt. Er hat mich so beeindruckt, dass ich ihn näher angeschaut und mit meinem Handy fotografiert habe. Dieser Baum ist in keiner besonders einfachen Lage. Er steht am Abhang und um ihn herum ist es ziemlich steinig. Aber der Baum hat sich nicht aufgegeben; er wächst trotzdem. Seine Wurzeln geben ihm auch am Abhang Halt. Die Sonne und der Regen vom Himmel unterstützen ihn. Ob er schön ist oder nicht, das liegt daran, wie er auf seine Betrachter wirkt. Aber ein mutiger, erfinderischer und einmaliger Baum ist er auf alle Fälle. Ein Original unter den Bäumen.

Lebenslagen, die nicht besonders einfach sind, die kennen wir alle. Ob mit oder ohne Corona-Krise gibt es Situationen, die uns nach unten ziehen oder die wir als steinig bezeichnen würden. Es ist gut, wenn wir das wahrnehmen und dazu stehen. Niemand muss die starke Frau oder den starken Mann spielen. Wir können zugeben, wenn wir mit etwas nicht fertig werden oder Angst haben. Hoffentlich haben wir dabei Menschen an unserer Seite, die uns Halt und Licht schenken. Menschen, bei denen wir uns aussprechen und bei Bedarf auch ausweinen können. Oft schaut dann die Welt schon wieder etwas anders aus und wir blicken zuversichtlicher nach vorne.

„Fürchtet Euch nicht“ – dieses Wort kommt sehr häufig in der Bibel vor, so auch im Evangelium des heutigen Sonntags (Matthäus 10,26-33), wo Jesus es sogar dreimal den Menschen zusagt. Natürlich fürchten wir uns immer wieder und haben Angst.Das gehört zu unserem Menschsein. Jesus möchte uns aber vor einer lähmenden Angst befreien und uns Mut zum Leben machen. Er möchte, dass wir das Beste aus unserem Leben machen und trotz aller Hindernisse innerlich wachsen. Es kann passieren, dass wir gerade durch Krisensituationen hindurch wachsen; wenn wir verschüttete Lebensquellen neu entdecken; wenn wir Kräfte in uns wahrnehmen, an die wir noch gar nie gedacht haben und wenn wir uns von Menschen helfen lassen, die uns nahe sind.

„Fürchtet euch nicht“. Gott bewahrt uns nicht vor schwierigen und leidvollen Erfahrungen. Der Glaube an Gott aber ist wie eine Wurzel, die uns auch am Abhang Halt gibt; wie ein Licht, das auch in unsere Dunkelheit hinein scheint; wie ein erfrischender Regen, der manch trockenes Erdreich fruchtbar macht. Gott bewahrt uns nicht vor der Angst; aber er begleitet und trägt uns durch die Angst hindurch.

Vermutlich werden wir diese Nähe Gottes nicht immer spüren und manchmal zweifelnd danach fragen, wo er denn jetzt eigentlich ist! Solche Gefühle brauchen wir nicht zu verdrängen. Zweifel und Fragen dürfen da sein. Wir können miteinander darüber sprechen. Auch in unserem Beten dürfen wir das alles zur Sprache bringen: Gott, manchmal fallen mir mein Glaube und mein Leben so schwer. Ich habe Zweifel und Fragen ohne Ende. Trotzdem aber möchte ich darauf vertrauen, dass Du da bist. Bitte sei du für mich und für die Menschen, die ich dir anvertraue, wie eine Wurzel, die uns hält und wie ein Licht in der Dunkelheit.

Noch heute bin ich diesem Baum im Gebirge dankbar, dass ich von ihm so viel für meinen Glauben und für mein Leben gelernt habe.

Pfarrer Ralf Gössl

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