Liebe Mitchristen!
Inzwischen bin ich im 28. Jahr Priester. Im Laufe dieser vielen Jahre hat sich so manches geändert. Eines stelle ich ganz deutlich an mir selber fest. Ich werde immer vorsichtiger, wenn ich über Gott spreche. Denn ich spüre immer mehr, dass Gott größer, weiter und tiefer ist, als wir Menschen uns das vorstellen. Er ist und bleibt der unbegreifliche Gott. Der Glaube an Gott ist für mich immer mehr ein behutsames Vortasten, eine lebenslange Sehnsucht nach ihm.
Dabei fühle ich mich in guter Gesellschaft, wenn ich auf die Menschen der Bibel schaue. Heute begegnet uns z.B. Mose, der sich auf den Weg macht, um Gott zu begegnen. Früh am Morgen steht er deshalb auf, um auf den Berg Sinai zu gehen (vgl. Ex 34,4). Wege auf die Berge waren schon immer besondere Wege, um Gott zu begegnen. Die Berge galten als Berührungspunkte zwischen Himmel und Erde. So einfach aber ist es dann doch nicht. Ein Aufstieg auf einen Berg kann ziemlich mühsam sein und manchmal bleibt auch der Gipfel verborgen, weil er sich hinter Nebel und Wolken versteckt. Diese Erfahrung haben auch Mose und das Volk Israel gemacht. Die Suche nach Gott kann mühsam sein. Oft schieben sich Wolken und Nebel zwischen Gott und den Menschen. Sicher spüren Sie, liebe Mitchristen, wie nahe uns da Mose ist. Wir kennen doch auch die Wolken und Nebel von Fragen und Zweifeln, die uns im Glauben bedrängen. Ein Mensch wie Mose kann uns da zum Weggefährten werden, wenn wir selber nach Gott fragen und suchen.
Auf einmal aber kommt eine andere Bewegung in diese Geschichte, die ganz menschlich erzählt wird. Gott selber steigt in einer Wolke herab und stellt sich neben Mose hin (vgl. Ex 34, 5). Auf der einen Seite ist also das manchmal mühevolle Suchen des Menschen nach Gott. Und auf der anderen Seite ist es Gott, der sich auf den Weg zu uns Menschen macht, der sich uns Menschen offenbart, der uns entgegen kommt, der uns Menschen anspricht. Die ganze Bibel ist voller Geschichten von Frauen und Männern, die dieses Entgegenkommen Gottes in ihrem Leben erfahren haben. Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht könnten Sie auch solche Geschichten dazu erzählen, wo sie in Ihrem Leben die Nähe Gottes schon einmal erfahren haben. Situationen, in denen Sie gespürt haben, dass Gott bei Ihnen ist: Vielleicht in einem Erlebnis in der Natur; bei einem Gottesdienst, der Sie berührt hat; in der Begegnung mit einem anderen Menschen – oder möglicherweise auch durch eine Krise in Ihrem Leben hindurch. Mose jedenfalls ist über diese Nähe Gottes so froh, dass er sich vor Gott bis zur Erde verneigt und sich vor ihn auf den Boden wirft. Schließlich bittet Mose Gott, in der Mitte des Volkes zu sein und mit zu ziehen auf dem weiteren Weg (vgl. Ex 34, 8).
Liebe Schwestern und Brüder, wir können Gott nicht begreifen, wir bleiben ein Leben lang Suchende. Das macht unseren Glauben aber auch spannend und abenteuerlich. Gleichzeitig aber kommt uns Gott entgegen und sagt uns zu, dass er bei uns ist und mit uns zieht. Das findet für uns seinen Höhepunkt in Jesus Christus. „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16). Dieser Satz aus dem Johannesevangelium ist eine der großartigsten Aussagen der ganzen Heiligen Schrift. Soweit kommt Gott uns Menschen aus Liebe entgegen. Wir schauen im Laufe eines Jahres auf das kleine Baby in der Krippe; auf Jesus, der mit den Jüngern unterwegs und für die Menschen da ist; auf Jesus, der am Kreuz auch unsere Schmerzen und unseren Tod trägt. Im Schauen auf Jesus sehen wir, wie weit uns Gott vom Berg der Ewigkeit her entgegen kommt, wie sehr Gott auch im Tal des Lebens bei uns ist.
Liebe Mitchristen, unser Glaube ist oft ein behutsames Vortasten nach Gott, ein Suche nach ihm. Er selber aber kommt uns entgegen und zieht uns ein Leben lang an. In der Kraft seines Heiligen Geistes ist er gegenwärtig. Mit Mose dürfen wir darauf vertrauen, dass er weiter in unserer Mitte ist und mit uns zieht.
Pfarrer Ralf Gössl