Die Bibel ist für mich immer wieder eine Fundgrube von Glaubens- und Lebenserfahrungen, die trotz ihrer zeitlichen und örtlichen Distanz sehr gut in unsere Zeit passen. In einem Text, der im zweiten Buch der Könige (2 Kön 4,8-11.14-16a) nachzulesen ist, wird uns geschildert, dass Elischa immer wieder bei einer Frau und ihrem Mann zum Essen einkehrte. Beide spürten, dass er ein glaubender Mensch ist, der von seinem Glauben an Gott ganz tief berührt und erfüllt ist. Deshalb wollten sie ihn als einen heiligen Gottesmann noch länger und öfter bei sich haben und richteten ihm ein kleines, gemauertes Obergemach ein. Dort stellten sie die nötigsten Dinge für ihn bereit: ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl und einen Leuchter.
Mir sind zu diesem Text zwei Gedanken gekommen, die mich zurzeit stark berühren.
Zum einen ist da die Sehnsucht nach dem „heiligen Gottesmann“, also nach einem Menschen, der von seinem Glauben an Gott ganz tief erfüllt und durchdrungen ist. Wir dürfen das natürlich heute erweitern und zusammen mit den heiligen Gottesmännern auch an heilige Gottesfrauen denken. Dazu können getaufte Christinnen und Christen genauso gehören, wie Frauen und Männer, die auf einem persönlichen Weg mit Gott sind oder die aus einer tiefen Überzeugung heraus das Gute wollen und tun.
Zum anderen spielt sich dieses heilige Leben mitten im Alltag ab. Die Einrichtungsgegenstände Bett, Tisch, Stuhl und Leuchter sind Sachen des ganz normalen täglichen Lebens. Die heilige Gottesfrau und den heiligen Gottesmann erkennt man also nicht am „Schweben“ über dem Alltäglichen. Man erkennt solche Menschen vielmehr daran, wie sie aus ihrer Glaubens- und Lebenshaltung heraus mit den ganz alltäglichen Erfahrungen, Erlebnissen und Herausforderungen umgehen.
Die Begebenheit mit Elischa zeigt uns einen sehr einfachen und schlichten Weg. Dies ist ein Weg, der uns als Christliche Gemeinden durch die Herausforderungen von heute und auch durch die Corona-Krise hindurch führen kann. Menschen, die ihren Glauben an Gott mitten im Alltag glaubwürdig leben und ausstrahlen, wirken anziehend auf andere Menschen. Es ist eine Bereicherung mit solch gottverwurzelten Menschen das Leben sowie den Glauben zu teilen und sich ihrem Weg anzuschließen.
In den derzeitigen Krisen können wir vielleicht entdecken, dass es solche Frauen und Männer auch heute mitten unter uns gibt und dass wir selber diese Berufung in uns tragen. Der Mystiker Meister Eckhart (1260-1328) hat einmal sinngemäß gasagt: Wenn du Gott bei der Arbeit im Stalle weniger hast als beim festlichen Gottesdienst, dann hast du ihn nicht.
Pfarrer Ralf Gössl